Corbusierhaus

Corbusierhaus

Typ Berlin: Das Corbusierhaus

Flatowallee 16

Ein Vormittag bei den "Corbusianern"

Wer die ellenlange Heerstrasse Richtung Brandenburg schon mal herunter gefahren ist, hat es auf der rechten Strassenseite sicher schon an ihm vorbei rauschen sehen: Ein riesiger Betonklotz, bemalt mit bunten Farben, lukt aus dem Einheitsbrei aus Wäldern, grauen Straßen und bracher Wohnflächen hervor. Der Corbusier-Bau, die Wohneinheit: “Typ Berlin”.

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corbusier haus berlin

Der angrenzende Rasen ist perfekt gestutzt, hunderte Autos und Fahrräder stehen, einer nach dem anderen, wohl geordnet, vor dem Eingangstor und in den Garagen. Über 1200 Menschen finden hier in kleinen Wohn-Waben ihr zu Hause, doch hört man sie nicht. An der rechten Außenseite schallt ein wenig Tanzmusik aus einer der Wohneinheiten. Mittig ruft jemand etwas auf Russisch in die Ferne. Weit vor dem Gebäudekomplex, wartet ein Kind mit Tennisschlägern im Rucksack auf seinen Vater. Ansonsten herrscht Stille in Charlottenburg West.

Nähert man sich dem Gebäude von der Hinterseite, führt ein kleiner Waldweg hinauf zu den Wohnungen, am Corbusierhaus angekommen, sticht gleich die Ordnung ins Gesicht. Nichts liegt hier nutzlos herum, keine kreischenden Kinder auf dem verlassenen Spielplatz, niemand lehnt sich aus dem Balkon, keine Satellitenschüsseln, die die Sicht der Nachbarn einschränken könnten und über allem liegt diese gespenstische Ruhe. Wie kann ein Ort so still sein, an dem so viele Menschen wohnen?

Am Haupteingang angekommen, tummelt sich eine Handvoll Einheimischer. Wer nicht bekannt ist, wird wie in Stammkneipen oder kleinen Dörfern argwöhnisch gemustert. Konspiratives Tuscheln, die Köpfe der “Corbusianer” kommen sich näher. Alles wirkt wie bei einem Sektentreff. Schnell fühlt man sich unwohl und sucht lieber einen Weg in den Bau. Der scheint viel freundlicher als die Menschen zu sein, die ihn bewohnen.

Im Hausflur

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inside the berlin cobusier house

527 Wohneinheiten auf insgesamt 1250m2

Durch eine gläserne Eingangstür kommt man in die Haupthalle. Riesige an den Wänden angebrachte alte Zeitungsartikel und Infotafeln untermauern eine gewisse Museumsatmosphäre und sind Zeitzeugen der Tage, an dem sich Berlin noch um den Denkmalgeschützen Bau und seine Einwohner scheerte. Noch immer ist der Prunkbau, indem Elemente eines utopischen Sozialismus der 20iger Jahre umgesetzt wurden, ein unheimlich beliebtes Wohndomizil. Lange Wartelisten gibt es wohl um sich hier einnisten zu dürfen. Das metallerne Einwohner-Namens-Schild vor den Fahrstühlen, zählt alle 527 Wohneinheiten samt Insassen auf.

Appartments werden die 2,50 Meter hohen und bis zu 106m² (Zweigeschossig) großen Wohn-Waben großzügig genannt. Insgesamt “10 Straßen” führen an 1,4 Kilometern durch die Gänge. Wer hier zum ersten Mal steht, fühlt sich sichtlich verloren. Und dann fällt sie einem wieder auf, diese “Corbusianer”-Ruhe. Hier hört man einen Wasserhahn plätschern, da mal jemanden ans Telefon gehen, die Neonröhren flackern an den Decken und trotz Leben in der Bude, fühlt man sich allein, umzingelt von Wohneinheiten. Die Gänge erinnern an Hotels, Jugendherbergen, ja irgendwie auch an die kühlen, langen Flure im Knast.

An jedem Ende der langen Etagen hängt ein graues Wählscheiben-Telefon. “Notruf” steht da in schummriger Schrift. Wahrscheinlich noch ein Überbleibsel aus der Bauphase in der von 1956 – 1958 nach Plänen des Architekten Le Corbusier an der damaligen Reichssportfeldstraße in der Nähe des Berliner Olympiastadions gewerkelt wurde. 13 Millionen D-Mark verschlang das Gebäude, dass zur “Internationalen Bauausstellung” in Berlin 1957 entworfen wurde. Anfangs erhob Architekt Corbusier noch schwere Vorwürfe gegen den Bauherren, die “Heilsberger Dreiecks”-Grundstücks-AG, da die von ihm entworfenen Pläne teils ignoriert wurden. Doch es kam zu einer Schlichtung. Seitdem hat der Bau immer wieder für bewegende Schlagzeilen gesorgt.

1970 begann ein allererstes Experiment mit Kabel-Privatfernsehen. Als West-Berliner Testseher wurden die Einwohner des Hauses, die wie alle anderen Berliner nur 3 Fernsehsender zur Verfügung hatten, (zwei der DDR und einen Sender der TV-Sendungen der US-Army ausstrahlte) als Versuchskaninchen zum Experminent Privatfernsehen eingeladen. Helmut W. Sontag, Besitzer der West-Berliner TV-Film-Agentur  “German Television News” wollte ab Ende März 1970 das “erste kommerzielle Kontrastprogramm in Deutschland” präsentieren. Scheiterte aber an den Bürokratie und den Lizenzen. Auch als Fernseh-Journalist Helmut Wilhelm Sontag im Berliner Corbusier-Haus 1979 ein Kabelfernseh-Programm starten wollte, versagte ihm der Senat die Lizenz, weil Sontag “nicht den Zugang dritter Personen zu den betreffenden Wohnungen und den Empfangsgeräten kontrollieren” könne — die Kabelvision mithin “Rundfunk” sei. 1979 rangen Spekulanten damit, die Sozialwohnungen in Eigentum “umzuwandeln“.

890 EUR warm kostet ein 66m² Maisonette Zimmer

Der Schock kam unerwartet am 28. Januar 1982: Der 59jährige Jakob Weinreich dichtet das Fenster seines Appartements im Berliner Corbusier-Haus ab, gießt aus einem Kanister Benzin über Fußboden und Bett, legt sich hin und entzündet ein Streichholz oder ein Feuerzeug. Die Explosion drückt Türen ein, und es stürzen Wände zusammen. Eine Feuerwand rast durch die fünfte Wohnstraße im achten OG. Mit dem Selbstmörder sterben eine 78jährige Frau und ein 39jähriger Mann.

Danach wurde es ruhig um den Prunkbau und jetzt: 30 Jahre später muss man tief in die Taschen greifen, wenn man sich selbst “Corbusianer” nennen will. 890 Euro warm, kostet ein 66m² Maisonette Zimmer mit Blick auf das Olympiastadion. Als etwas “besonderes” wird das Leben im avantgardistischen Haus beschrieben. “Direkt vor der Haustür befindet sich der Garten”, so die Makler, “des ca. 63000 m² großen Grundstückes, welches von drei Hausmeistern und Gärtnern in Ordnung gehalten wird.” “Im Corbusierhaus-Berlin ist man mitten in Berlin, aber trotzdem in der grünen Oase Westend im Bezirk Charlottenburg. Man hört das Herz der Großstadt schlagen, wohnt aber in einem Haus quasi “auf dem Land”. Man verfügt über alle Annehmlichkeiten und Angebote des Stadtlebens ohne den Stress, den eine Großstadt mit sich bringt. Viele freuen sich wohl “endlich drin zu sein”. Und dazu zu gehören. Eigentlich beneidenswert.

Facts

Im Jubiläumsjahr der  INTERBAU  legt das Landesdenkmalamt Berlin den ersten Denkmalpflegeplan für das Le-Corbusier-Haus vor. Das Corbusierhaus entstand 1957 nach Plänen des weltbekannten Architekten Le Corbusier im Rahmen einer internationalen Bauausstellung. Um seine einzigartige Gestaltung zu bewahren, hat der Architekt Jochen Beer im Auftrag des Landesdenkmalamtes Berlin einen detaillierten Denkmalpflegeplan erarbeitet, der nun an die Bewohner des Corbusierhauses übergeben wird.

 

Artikel in der taz:
http://www.berliner-mieterverein.de/magazin/online/mm0507/hauptmm.htm?http://www.berliner-mieterverein.de/magazin/online/mm0507/050710a.htm

Bärbel Högner Fotoreportage:
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Berlin ist nicht das einzige Unite d’habitation:
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Die folgenden 5 Unités d’Habitation Häuserkomplexe wurden realisiert:

  • 1947–1952 Cité Radieuse in Marseille
  • 1950–1955 Cité Radieuse de Rezé bei Nantes
    (Länge: 108 m, Breite: 19 m, Höhe: 52 m)
  • 1956–1958 Corbusierhaus in Berlin
    (Länge: 157 m, Breite: 23 m, Höhe: 53 m)
  • 1959–1961 Unité d’habitation de Briey in Briey
  • 1965–1967 Unité d’habitation de Firminy-Vert in Firminy
    (Länge: 130 m, Breite: 21 m, Höhe 50 m)

Wiki-Link:
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Artikel zur Baugeschichte:
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Homepage auf der auch Führungen durch das Haus angeboten werden:
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